Geplante Verschärfungen im Ausländerrecht: JOG fordert gleiche Rechte statt Stigmatisierung und Isolation!

Jugendliche ohne Grenzen – Pressemitteilung vom 14. März 2011
Geplante Verschärfungen im Ausländerrecht: JOG fordert gleiche Rechte statt Stigmatisierung und Isolation!
Heute berät der Innenausschuss des Bundestages über Änderungen im Ausländerrecht
Pm- 14.03.1011 Zum neuen Bleiberecht
„Die „Thesen“ und Hetzparolen des Rassisten Sarrazin scheinen bei der Politik anzukommen“, kommentiert Ibrahim Kanalan von Jugendliche Ohne Grenzen. Die Einwanderung soll verhindert, der Islam aus Deutschland verdrängt und die „Integrationsverweigerer“ bestraft werden. „Der Rassismus wurde stets marginalisiert und in der braunen Ecke verortet. Heute wissen wir aber, dass sie sich in allen Teilen der Gesellschaft etabliert hat und darüber hinaus zu einer Sache der Elite geworden ist“.

Am Montag, 14. März 2011, wird im Innenausschuss des Bundestages eine Anhörung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Aufenthaltsrecht geben. Der Gesetzesentwurf sieht u.a. eine Bleiberechtsregelung für sog. gut integrierte geduldete Jugendliche, die Erhöhung der „Mindestehebestandszeit“ und einen „Sprachtest“ für eingewanderte Menschen vor. Wir, Jugendliche ohne Grenzen (JoG), wollen nicht nur Objekte der Politik sein, sondern als Subjekte wahrgenommen werden. Weil es um unsere Rechte und Zukunft geht werden wir nicht schweigen. Um unseren Forderungen Ausdruck zu verleihen werden wir bei der Anhörung im Bundestag als Zuhörer anwesend sein und stehen der Presse vor Ort für Fragen zur Verfügung.

Unter dem Deckmantel „Bekämpfung der Zwangsheirat“ und „Schutz der Opfer von Zwangsheirat“ wird wieder einmal massive Verschärfungen im Aufenthaltsrecht vorgenommen. Auch die geplante Bleiberechtsregelung geht nicht weiter als eine Kosmetika.

Die Bleiberechtsregelung setzt u.a. eine sechsjährige Aufenthaltsdauer, sechs Jahre Schulbesuch oder Schul- bzw. Ausbildungsabschluss voraus. Weiterhin müssen die Betroffenen vor dem 14. Lebensjahr eingereist und den Antrag auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor dem 21. Lebensjahr stellen. Die Eltern der Jugendlichen können eine Aufenthaltserlaubnis nur erhalten, wenn sie ihren Lebensunterhalt vollständig (so der Änderungsantrag der Regierungsfraktionen) durch Erwerbstätigkeit gesichert haben und keine Ausschlussgründe vorliegen.
Derzeit leben in der BRD ca. 90.000 geduldete Flüchtlinge. Vor dem Hintergrund, dass nur ein kleiner Personenkreis der Jugendlichen von der Regel profitieren werden und ganz wenige Familienangehörige aufgrund der hohen Hürden überhaupt die Möglichkeit haben werden eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, entlarvt sich das Gesetz nicht mehr als eine Augenwischerei.

Erfüllen die Jugendlichen die Voraussetzungen und erhalten eine Aufenthaltserlaubnis, ist der zu zahlende Preis: Die Trennung von den Eltern und Geschwistern, wenn sie die hohen Bedingungen nicht erfüllen können.
Wir fragen uns, wo die Humanität, Achtung und Schutz des Familien- und Privatlebens, Kinder- und Menschenrechte bleiben. Wir fragen weiter, was mit Jugendlichen, die nach dem 14. Lebensjahr eingereist sind, ihren Eltern, kranken und alten Flüchtlingen und Paare ohne Kinder oder Alleinstehende Flüchtlinge passiert.

Die Regelung richtet sich allein an Nützlichkeitsaspekte, selektiert, separiert und enthumanisiert. Es ist paradox von Menschen zu verlangen, dass sie erfolgreich eine Schule besuchen, wenn sie kein Recht auf Bildung haben; zu arbeiten, wenn sie Arbeitsverboten unterliegen; straffrei zu sein, wenn die Bewegungsfreiheit sanktioniert wird; sich zu „integrieren“, wenn sie von der Gesellschaft bewusst ausgeschlossen, in den Lagern untergebracht werden.Das ist aber nicht alles. Sonderregelungen und -gesetze wie Residenzpflicht, Arbeits- und Ausbildungsverbote und Asylbewerberleistungsgesetz werden aufrechterhalten, die UN-Kinderrechte werden nicht beachtet und es wird weiter verschärft. So soll der „Ehebestandszeit“ von zwei auf drei Jahre angehoben und weitere Sanktionen eingeführt werden.

Es ist aber nicht nur dieser Gesetzesentwurf, geprägt von Vorurteilen und Stigmatisierungen. Die politischen Ereignisse der vergangenen Tage sind bestürzend. Der neue Innenminister verdeutlicht gleich bei seinem Amtsantritt was er von staatlicher Neutralität und Gleichheit von Religionen hält: Islam gehört nicht zur Deutschland! Herr Seehofer wird martialisch und will bis zur „letzten Patrone“ gegen Einwanderung kämpfen, nachdem er zuvor konstatierte: Fundamente der Integration ist das Grundgesetz und die „deutsche Leitkultur“, „die von den christlich-jüdischen Wurzeln und von Christentum, Humanismus und Aufklärung geprägt ist“. Und zuletzt erklärte die Bundeskanzlerin: „Multikulti“ ist „absolut gescheitert“. Die Signale und Symbole aus der Politik sind eindeutig, wenn man den Gesetzesentwurf und die Äußerungen der politischen Elite des Landes richtig erfasst.

Der steigende Rassismus findet in dem öffentlichen Diskurs und in der Politik kaum Beachtung. Stattdessen immer wieder „Integrations-“, „Integrationsverweigerer-“ und „Leitkulturdebatte“. Wo fängt aber die sog. Integration an und wo hört er auf? Deutsch lernen auf Niveau A1 (Voraussetzung Ehegattennachzug), A2 (Voraussetzung Bleiberecht), B1 (Voraussetzung Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis); Schulabschluss bei Jugendlichen; Ablegen des Kopftuchs bei der Hochschulabsolventin/Lehrerin; Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Einbürgerung) oder Annahme der sog. deutschen „Leitkultur“, also Assimilation? Außerdem, wer muss überhaupt „integriert“ werden? Die jährlich einwandernden 64.000 Menschen, einige Hunderttausend mit Niederlassungserlaubnis oder ein paar Millionen Staatsbürger mit sog. Migrationshintergrund? Anstatt der „Integrationsbereitschaft“ soll der Maßstab nun „Integrationsfähigkeit“ sein! Und was kommt danach? Wir, Jugendliche ohne Grenzen (JoG), meinen, dass diese Debatte dem friedlichen Zusammenleben, gegenseitiger Anerkennung und Achtung schadet und Rassismen fördert und produziert. Dabei ist der Lösungsansatz überhaupt nicht so fernliegend. Er lautet: Gleiche Rechte, Chancengleichheit und ein gleichberechtigtes Teilhabe.

Deshalb fordern wir:
– eine Bleiberechtsregelung für alle Menschen in Deutschland
– Abschaffung aller rassistischen Sondergesetze und –Regelungen (Asylbewerberleistungsgesetz, Arbeitsverbot, Residenzpflicht usw.)
– Rücknahme der Verschärfung im Gesetzesentwurf
– Aktive Bekämpfung des Rassismus

Jugendliche ohne Grenzen